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Building(s) for Europe

Im Brüsseler Europaviertel regiert der Zirkel. Fassaden schwingen konkav und konvex, sie werden durchbrochen und über die Breite das Hauses fortgesetzt, alles, ohne dass jemand sagen könnte, weshalb und warum das alles so sein müßte. Im Brüsseler Europaviertel geht es Architekten offensichtlich darum, mit viel Aufwand wenig zu erreichen. Wer darin ein Symbol für Europapolitik sieht, ist böswillig aber nicht weltfremd.

Zur Fünfzigjahrfeier der Römischen Verträge, mit denen 1957 eine Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gegründet wurde, veranstaltet die Stadtteilinitiative „Europaviertel“ im Fassadendenkmal des ehemaligen Brüsseler Bahnhofs „Luxemburg“ eine Ausstellung zur Entstehung und zur geplanten Entwicklung dieses Stadtgebiets. Mehr als die Fassade blieb von diesem Bahnhofsbau aus der „Gründerzeit“ nicht erhalten, nachdem das Parlamentsgebäude wieder einmal erweitert werden mußte. Sein Abriss war beschlossene Sache, bis man den Wert des durch die Bahnhofsfassade geschlossenen Platzes Leopold erkannte. Wie eine Perle steckt das kleine Restdenkmal jetzt in der Fassung der Bauten, die in diesem Jahr fertiggestellt werden. Hinter der weitgehend erhaltenen Fassade wurde in dreijähriger Bauzeit ein zweigeschossiges Haus mit Stuckdecken gebaut, wie es an dieser Stelle nie zuvor bestand. Trotzdem wirkt alles echt. Die prächtigen Räume bilden den Rahmen für eine Ausstellung, bei der die in den letzten fünfzig Jahren in Brüssel entstandenen Bauten für die europäische Politik mit Bildern, Texten und Modellen dokumentiert werden. Es ist ein guter Ort und auch ein peinlicher Ort für diese Ausstellung.

Brüssel ist, auch wenn es in Straßburg und Luxemburg gerne anders gesehen wird, die einzige Stätte, an der europäische Politik gemacht wird. Die Organe noch stärker zu dezentralisieren, wie es sich die Städte Lille, Bonn, Den Haag und Berlin wünschen, käme die Europäer teuer zu stehen.
Die europäischen Institutionen haben mit ihren Bauten alle Maßstäbe der im 19. Jahrhundert entstandenen Wohnviertel „Léopold“ und „Cinquantenaire“ gesprengt. Nur das Viertel der Plätze, das „Quartier des Squares“, blieb mit zahlreichen Jugendstilbauten weitgehend erhalten. Obwohl es ein Teil der Stadt Brüssel ist, ist das Europaviertel doch kein Stadtteil. Kein Mensch ahnte 1957, dass aus den wirtschaftspolitischen Vereinbarungen der Gründungsländer in nur einem halben Jahrhundert eine Verordnungsmaschinerie entstehen könnte, die 80% aller in Europa gültigen Gesetze hervorbringt. Die städtebaulichen Schäden, die von den schubweise und ohne Gesamtkonzept gebauten Verwaltungsbauten verursacht wurden, versucht man jetzt wieder gutzumachen. Viel zu groß, viel zu unsensibel und einfach am falschen Platz entstanden die meisten Bauten für Kommission, Parlament und Rat. Anfangs reichten für die 3200 Beamten der Europäischen Kommission acht Bürobauten, denen jeweils vier bis zehn bürgerliche Wohn- und Geschäftsbauten weichen mußten. Recht bald aber setzte sich die Europäische Kommission mit großen Solitärbauten in Szene. 1964-67 entstand das „Charlemagne“-Gebäude (renoviert 1996-1998) und 1967-1971 das markante „Berlaymont“-Gebäude auf dem Gelände des ehemaligen Berlaymont-Klosters. Außer dem Kloster wurden zu seinem Bau mehrere Straßenzüge abgerissen. Die Praxis ist in Brüssel seit dem Bau des monströsen Justizpalasts 1860 üblich und hat dazu geführt, dass die Berufsbezeichnung „Architekt“ in Brüssel zu einem Schimpfwort avancierte.

Das „Berlaymont“ ist heute selbst ein Baudenkmal, wenigstens war es das bis zu seinem 2004 abgeschlossenen Umbau, bei dem wenig von seinem ursprünglichen Charme erhalten blieb. 1979-1981 folgte das klotzige Konferenzzentrum „Borschette“ mit zweiundzwanzig ungemütlichen Sitzungssälen und 1988-1993 der erste Flügel des Parlamentsgebäudes. Die vorerst letzten Parlamentsflügel werden in diesem Jahr fertiggestellt. Der Europäische Rat folgte 1989-1995 mit dem Bau des Komplexes „Justus Lipsius“. Er ist um mehrere Höfe herum angelegt und hat von allen Europabauten den wenigsten Liebreiz. Vorerst jüngstes Ratsgebäude ist das 2007 fertiggestellte, weniger mißlungene „Lex 2000“ mit Sitzungssälen für den Europäischen Rat, zu denen bis 2012 weitere Säle in einem spektakulären, birnenförmigen Erweiterungsbau des „Résidence Palace“ kommen sollen.
Alle Bauten entstanden aufgrund der Planungen mehrerer Architekten, die sich zu Konsortien zusammengeschlossen hatten. Spekulationsruinen, wie sie noch vor wenigen Monaten die Rue Belliard zierten, verschwinden zusehends, vor allem, weil die meisten Spekulationen aufgegangen sind.

Der Bau des zeichenhaften Berlaymont-Gebäudes hat fünf Jahre gedauert (1967-1971), seine Renovierung zehn Jahre (1995-2004) und wenn sich der Aufbau eines vereinten Europas mit dem selben Faktor verlangsamt, können wir schon in hundert Jahren einen weiteren Durchbruch feiern.

Ludger Fischer
„Building(s) For Europe, Brüssel im Wandel“. Ausstellung im „alten“ Gebäude des Bahnhofs Luxemburg in Brüssel, 5. Mai – 30. September 2007.
Aus: Bauwelt 98 (2007) Juni
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